Bei meiner Recherche für diesen Blog treffe ich immer wieder auf Menschen, die mir begeistert von den Stadtführungen durch Hof berichten. Klingt spießig, ne? Das dachte ich mir auch. Bis ich Andreas Geißer kennenlerne. Der ausgebildete Gästeführer lässt mich nämlich nicht nur unterhaltsam in die Hofer Vergangenheit eintauchen, er verkörpert mit seiner eigenen Geschichte auch eine Sehnsucht, die sich in unzähligen Kilometern misst.
Mein letzter Geschichtslehrer war Albert Rambacher. Viele von Euch kennen Ihn wahrscheinlich. Ich liebte es, mit ihm angeregt über geschichtliche und politische Entwicklungen zu diskutieren. Trotzdem rebelliert mein inneres Kind, als ich beschließe, am historischen Stadtspaziergang durch Hof teilzunehmen. Runtergeratterte Fakten und eineinhalb Stunden voller monotoner Eckdaten. Wie langweilig. Dennoch – und den frostigen Temperaturen zum Trotz – packen mein Freund und ich uns warm ein, um eine der vielen Hofer Stadtführungen zu besuchen. Man muss sich ja auskennen mit der Stadt, über die man schreibt.
Angekommen am Startpunkt derTourist-Information, treffen wir auf ein befreundetes Paar, mit dem wir uns verabredet haben. Meine langjährige Freundin ist schwanger und der Wind weht uns eiskalt in die Winterjacken. Na, wenn das mal kein Reinfall wird. Wir tauschen kritische Blicke. Aber gut, jetzt sind wir schon mal hier.
Andreas Geißer, der Mann, der uns die nächsten eineinhalb Stunden begleiten wird, wartet bereits mit einem älteren Paar am Treffpunkt. Wir kommen nett ins Quatschen, der männliche Teilnehmer stellt sich als Genussbotschafter und „Scharfrichter“ heraus und mir wird gleich etwas wärmer um’s Herz, weil ich auf einem seiner Flyer die sogenannte „Sülzen-Tour“ entdecke. Schreib‘ ich eben darüber, sollte das hier nichts werden.
Diesen Zahn zieht mir Andreas leider umgehend und wirkt auf den ersten Blick sympathisch. Egal. Ich mach‘ die Sülzentour trotzdem. Während meine Freunde und ich mit Schals, Mützen und Handschuhen bekleidet sind, trägt unser Stadtführer einen einfachen Anorak und scheint mit der Kälte gut klarzukommen. Mit gesunder Gesichtsfarbe grinst er uns an und ich habe das Gefühl, er freut sich wirklich, also ehrlich, auf die bevorstehende Tour. Und das, obwohl er sie jeden Monat leitet.
Von dem netten Grinsen abgesehen, wecken Andreas‘ Lebensumstände mein Interesse. Denn er wohnt in Landshut, arbeitet dort als Bauingenieur und hat bereits reichlich Großstadtluft in München geschnuppert. Trotzdem entscheidet er sich ausgerechnet dafür, Wochenende für Wochenende nach Hof zurück zu reisen, um dort seine Zeit zu verbringen. Auf meine Nachfrage erklärt er, dass er die kurzen Wege in der Kleinstadt schätzt. Allein eineinhalb Stunden Bahnfahrt hätte er früher täglich zur Arbeit gehabt. Außerdem findet er das Freizeitprogramm so schön übersichtlich. In München gab es ihm beinahe zu viel. Und ich bin bei ihm – mich überfordert nämlich bereits eine überfüllte Speisekarte, weil ich immer das Gefühl habe, etwas zu verpassen.
Wir starten am Hofer Rathausbrunnen.
Seit ich weiß, dass ein gutes Beispiel für diesen Blog vor mir steht, habe ich ehrlich gesagt Schwierigkeiten, mich auf die vorgetragenen Inhalte zu konzentrieren. Zu gerne würde ich Andreas mit Fragen über sein eigenes Leben, seine eigene Geschichte löchern. Doch unser Gastführer schafft es immer wieder, mich mit seinen Erzählungen ins Hier und Jetzt zurück zu holen. Naja. Oder ins Dort und Damals eben.
Habt Ihr Euch zum Beispiel mal unseren Rathausbrunnen genauer angeschaut? Im Ernst jetzt – habt Ihr? Ich auch nicht. Dabei sieht man dort unsere Hofer Gesellschaft, mit all ihren Mitgliedern in den verschiedensten Schichten. Handwerker, Händler, Theaterspieler, Musikanten und – ganz wichtig für einige unter uns – Bierbrauer.
Wer jetzt angesichts eines steinernen Brunnens gähnen muss, bekommt den nächsten Tipp von Andreas. Nachdem er berichtet hat, dass unser Rathaus von einem Leipziger Stararchitekten entworfen wurde, rät er uns nämlich, einmal den Rathausturm zu besteigen. Ich fühle mich sofort in meine Kindheit zurück versetzt. Denn ich habe tatsächlich schon viele Stunden dort oben verbracht und Hof aus luftiger Höhe bestaunt. Das waren noch Zeiten, als ich mich einfach sorglos mit meinen Freundinnen in der Stadt traf, um die Straßen unsicher zu machen und ziellos durch den Tag zu schlendern. Ich gerate ins Schwärmen und nehme mir vor, mir schon bald wieder den Schlüssel im Rathaus zu borgen, um dort oben ein paar Fotos zu schießen. Andreas erklärt, dass dieser Ort an besonders heißen Tagen ein echter Geheimtipp ist. Okay, Hofer Rathausturm, der Sommer 2018 gehört uns!
Richtig charmant wirkt unser Gastführer wieder, als er verschmitzt grinsend von der sogenannten Hofer Mordgasse erzählt. Und ich fühle mich zurückversetzt in eine mystische Zeit, in der die Menschen noch an Kobolde und Dämonen glaubten. Schaurige Gestalten liefen damals angeblich durch die Mordgasse. Der „lange Mann“ zum Beispiel – eine knochige Gestalt mit schwarzem Mantel, der durch die Fenster im zweiten Stock schauen konnte. Oder Hans Schiefhals, der vom Teufel angesprungen wurde, als er nachts durch die Gasse ging. Ein wenig weiter erfahren wir, dass hier in der Nähe eine Menge Bier gebraut wurde. Damals galt Bier noch als Grundnahrungsmittel. Ich überlege, ob es zwischen dieser Tatsache und den Gruselgeschichten einen Zusammenhang gibt.
Eine tragisch-schöne Geschichte erzählt auch die Michaeliskirche. Dort oben in den Höhen wohnte 1823 der Türmer mit seiner Familie. Ja, in dem Turm befindet sich eine Wohnung. Auch heute noch. (Sie ist übrigens zu haben, sagt Andreas).
Die Aufgabe des Türmers war es, im Falle von Gefahr sofort Alarm zu schlagen. Bei einem Brand beispielsweise, hängte er Signalflaggen in Richtung der Flammen aus und läutete Hilfe herbei. Im besagten Jahr gab es ein riesiges Feuer. 80 Prozent aller Häuser brannten ab, die Menschen versuchten tagelang verzweifelt zu löschen. Doch starben nur zwei Personen an diesem Tag. Und ratet mal, wer das war? Der Türmer und seine Frau. Diese Katastrophe, 1823, war der letzte große Stadtbrand in Hof. Danach wurde auf einen Schlag alles wieder aufgebaut. Ich stelle mir vor, wie unsere Vorfahren zusammen anpacken konnten und habe ein wirklich gutes Gefühl dabei.
Weil es uns gar so sehr um die Ohren pfeift, ändert unser einfühlsamer Begleiter seinen Plan spontan und wir drehen einfach eine Runde im Museum Bayerisches Vogtland. Kennt ihr das, wenn man in einem Museum die tiefe Sehnsucht nach Zeitreisen bekommt? Ein dringendes Bedürfnis danach, einen Tag am echten, mittelalterlichen Leben teilzunehmen? Dieses Gefühl macht unsere Führung mit mir. Aber ich will nicht zu viel verraten.
Nach dem Museum sehen wir noch ein Stück echte Stadtmauer. Dann hefte ich mich an Andreas, erzähle ihm vom meiner Blogidee und bitte ihn, über ihn schreiben zu dürfen. Wir reden noch ein bisschen und mailen später. Dabei erfahre ich, dass die Spiele der Hof Jokers, der Schlappentag und das Volksfest zu seinen Lieblingsevents gehören. Außerdem schätzt er die geringen Lebenshaltungskosten hier und hat in Hof viele Freunde. Mir scheint, als genießt er das einfache Leben. Ein Trend, den ich bei immer mehr Menschen verfolge. Minimalistische Lebensstile entstehen nicht umsonst aus der Unzufriedenheit, die aus den Turbulenzen unseres heutigen Lebens resultiert.
Ich freue mich, dass ich Andreas kennenlernen durfte. Er ist einer der Menschen, die sich wirklich für unsere Stadt interessieren und engagieren. Und ich freue mich schon auf die nächste Tour, von der ich Euch natürlich berichten werde.
Das war ein wirklich interessanter Beitrag, kurzweilig geschrieben,ich hab mich ein bisschen gefühlt als wäre ich dabei gewesen. Danke mach so weiter 😉
Wie schön das ist, wenn das investierte Herzblut genau das bewirkt, was man sich wünscht. Tausend Dank für das viele Lob, Regine 🙂