April 2020: Viele Menschen sehnen sich nach guten Nachrichten. Sie leben zurückgezogen, zwangsentschleunigt, fliehen sich in Fantsiewelten. Die einen lesen ein gutes Buch, die anderen kochen oder leben ihre Kreativität beim Basteln aus. Denn auch Kunst kann heilsam für verunsicherte Seelen sein. Diese Erfahrung durfte ich bei meiner telefonischen Museumsführung mit Dr. Magdalena Bayreuther, der jungen, engagierten Leitung des Museum Bayerisches Vogtland, machen. Ein zauberhaftes Erlebnis, das ich heute mit Euch teilen möchte. Taucht mit mir ein, in die erste Online-Ausstellung des Museums. LIGHT UP YOUR WASTE! Oder, wie ich das einfach übersetze, weil es so gut in diese Zeit passt: Mach‘ das Beste aus dem Mist!
Monatelang hat die Q12 des Hofer Johann-Christian-Reinhart Gymnasiums ihr Herzblut investiert. Beim Abfallzweckverband Hof nach weggeworfenen Lampen gekramt. Den Recyclingskreislauf besser kennengelernt. Regionale Firmen und deren Müllsortierungssystem entdeckt. Mit kreativer Schaffensfreude gewerkelt und dabei fantasievolle Leuchten erschaffen, die man zum Teil genau so beim Designergeschäft um’s Eck finden könnte. Neben den Abiturvorbereitungen. Für Ihre eigene Ausstellung in einem Museum!
Doch dann: Der Shutdown. Das Hofer Museum muss schließen. „Wie im Geisterhaus ist es gerade bei uns“, erzählt mir die Leiterin, Dr. Magdalena Bayreuther, am Telefon. Dabei war die Ausstellung bereits in großen Teilen aufgebaut und durchgeplant. Fünf Nischen hätte es geben sollen. Fünf Bereiche der Sonderausstellung im 120 Quadratmeter großen Gewölbe des Hauses. Alle hätten ihre eigene Geschichte erzählt. Aufgeklärt, zum Nachdenken angeregt, Schülerbiographien aufgezeigt. „Viel zu schade, um es im Sand verlaufen zu lassen“, findet Frau Bayreuther. Und verlegt die Ausstellung kurzum ins Internet.
Liebe Deine Krise
„Man kann die Krise eben auch als Chance sehen, um einmal neue Formate auszuprobieren“, höre ich Frau Bayreuther sagen. Neben dem normalen Geschäft seien solche Aktionen zeitlich auch gar nicht machbar gewesen. Der Optimismus der Frau ist durch’s Telefon spürbar. Und auch die persönliche Begeisterung, die sie für die Kunst der Schüler aufbringt. „Dass die Gruppe so motiviert war, hat mich richtig gefreut“, schwärmt sie. „Ich würde das mit der Klasse jederzeit wieder so machen. Wenn das dann in Zusammenarbeit mit einem engagierten Kunstlehrer, wie Herrn Heydenreich, passiert, der zu begeistern weiß, ist das einfach ein Traum für ein Museum als außerschulischer Lernort. Da habe ich ein richtig breites Grinsen im Gesicht!“, sagt sie, doch das habe ich natürlich längst gehört und mich davon anstecken lassen.
Auch der Kunstlehrer ist ein großer Fan seiner Gruppe, wie er mir schrieb: „Zwei Schüler wollten zur Eröffnung sogar einen musikalischen Beitrag beisteuern, andere hatten schon Ideen für eine Besucherführung“, erzählt mir Robin Heydenreich von dem begeisterten Engagement der Schüler. „Das ist eine wiederkehrende Erfahrung bei mir, dass ich als Kunstlehrer vor allem dann überrascht werde, wenn ich den Schülern viel Freiraum gebe und ihnen in ihrer Entscheidungsfindung vertraue.“ Er war es, der das Upcycling-Projekt in Zusammenarbeit mit dem Abfallzweckverband Stadt- und Landkreis Hof ins Rollen brachte. Für die Flexibilität unserer Museumsleitung ist er deshalb gerade dankbar: „Die Onlinevariante ist wohl das Beste, was uns in der jetzigen Situation passieren konnte!“
Unterricht in seiner bestmöglichen Form – Für alle Beteiligten!
Und so kommt es, dass ich jetzt hier sitze, an meinem Esstisch, mit ein paar Fotos der Aktion vor mir und Frau Bayreuther am Telefon lausche. Was dann folgt, ist eine außergewöhnliche Erfahrung, die auch mir ohne die Krise entgangen wäre. Denn Frau Bayreuther führt mich mit ihren Worten fast eine Stunde lang durch die geplante Ausstellung und entreißt mich damit auf eine wohltuende Weise dem tristen Quarantänealltag.
„Weg mit der Wegwerfgesellschaft“, sollte eigentlich die Botschaft des Projekts sein. Dazu hatte sich jede der Arbeitsgruppen individuelle Gedanken gemacht. Konzepte verfasst, sich weitergebildet, entsorgte Lampen aufgewertet und Texte dazu geschrieben. Das klingt zunächst einmal mehr nach Aufklärung als Kunst. Doch reine Infos hätte man nur zu Beginn der Ausstellung gefunden. „Der Besucher hätte eine kurze Einführung bekommen, die Vorgeschichte erfahren und Fotos vom AZV gezeigt bekommen.“ Dann wären die Besucher gleich reingestartet in die fünf entstandenen Nischen in dem Museumsgewölbe.
Die Materialien-Gruppe
Wie mir die Telefonstimme erzählt, hätte die erste Nische die Stoffe Glas, Papier und Plastik behandelt. Mir war nicht klar, dass man Müll so schön in Szene setzen kann, bis ich die Fotos der Materialien-Gruppe sehe. Diese sind bei drei Führungen durch regionale Firmen entstanden, die verschiedene Reststoffe verwerten. „Diese Gruppe hat sich total den Extraaufwand gemacht“, erzählt meine Museumsführerin begeistert. „Und die Bilder sind so toll gemacht, die hätte man groß aufziehen und nochmal extra ausstellen können.“
Ich staune über die entstandenen Werke. Wenn man will, sieht man hier nur eine Menge Dreck. Doch die Schüler haben es irgendwie geschafft, die Bildausschnitte so ansprechend darzustellen, dass man auf den ersten Blick den Wert des geschredderten Mülls erkennt. Warum muss Müll getrennt werden? Wie kann man ihn weiterverwerten und aufbereiten? All diese Fragen konnte die Gruppe für sich beantworten und an die Besucher weitergeben.
Bei der Online-Ausstellung auf Facebook lese ich von einer Schülerin, die vor allem überrascht war: „Mich hat besonders beeindruckt, wie innovativ die Firmen denken. Wenn man im Zusammenhang mit Umwelt und Klima von ‚der Industrie‘ spricht, hat man schnell ein negatives Bild im Kopf, das sich bei den drei besuchten Firmen in keinster Weise bestätigt hat“.
„Diese Gruppe hätte das grundlegende Gefühl für Müll und Müllverwertung vermittelt. Außerdem haben die Schüler nochmal extra Lampen gebastelt. Die waren wirklich sehr engagiert“, schwärmt Frau Bayreuther.
Die Märchen-Nische
In unserer gedanklichen Führung kommen wir jetzt zu der Lampe, die mir persönlich am besten gefällt. Genau so würde ich sie mir auch ins Wohnzimmer stellen. Und ein Wohnzimmer ist es auch, das die Gruppe erschaffen wollte. „Die zweite Nische wäre sehr verspielt geworden. Die Lampen der Gruppe sahen so ein bisschen romantisch aus, mit Blumen, sehr farbig.“ Deshalb sei auch das Thema Märchen entstanden.
„In dem Ausstellungsbereich hätte man so eine richtig schöne Oma-Tapete gefunden, einen alten Sessel und die verwunschenen Lampen. Die Besucher hätten sich in den Sessel setzen können, um dort das selbst geschriebene Märchen der Gruppe zu lesen.“ Upcycling wäre das Thema der Geschichte gewesen und ich hätte zu gerne erfahren, wie genau die Schülerinnen und Schüler das umgesetzt haben. „Das wäre wirklich sehr schön geworden“, verspricht jedenfalls die Telefonstimme.
„Dazu hätte es noch biographische Texte der Schüler gegeben. Wunderschön in Bilderrahmen präsentiert. So ein bisschen verschnörkelt und barockmäßig“, lächelt sie hörbar. Spätestens jetzt sitze ich nicht mehr an meinem Esstisch zu Hause. Frau Bayreuther hat es mit ihren Worten geschafft, mich trotz Ausgangsbeschränkungen ins Museum zu beamen. Ich sitze vollkommen entspannt und aufmerksam im gedämpften Licht der hinreißenden Lampen und lese Märchen. Ein herrliches Gefühl!
Die Bier-Nische
Doch da wartet auch schon das Kontrast-Programm der Bier-Nische auf mich. Ja, richtig gelesen, eine Nische von Schülern, die irgendwie Alkohol zum Thema hat. Kompliment an den Lehrer, Kunstfreiheit und so! Frau Bayreuther lacht schon in den Hörer und ich lache gleich mit.
Doch auch wenn man die Nische für eine Schnapsidee halten könnte, so steckt doch selbst in diesem Ausstellungsbereich ein durchdachtes Konzept, das darauf aufmerksam machen soll, wie aufwendig Blech recycelt werden muss, bis es neu verwendet werden kann. Sehr viel aufwendiger, als beispielsweise Glas. „Die ersten Gedanken dazu hatte ein Schüler im Kroatienurlaub, wo am Strand schon mittags das erste Dosenbier getrunken wurde. Letztlich wurde die Nische von fünf Jungs umgesetzt, die – ich sag das jetzt einfach mal so- unter dem Einfluss eines gewissen Getränks auch auf kreative Gedanken kommen“, lacht sie.
Und so sollte auch in der Nische gegenüber der Märchengruppe Wohnzimmeratmosphäre herrschen. Nur eben ganz anders. Mit einem selbstgebauten Thron aus Bierkästen. „Der Thron sollte aus mehreren Kästen bestehen, mit Armlehne, Sitzfläche und sogar einer Klappe in der Armlehne zu Getränkeentnahme“, amüsiert sich die Leiterin. „Darum verteilt wären dann die Lampen der Gruppe. Eine sah ein wenig aus, wie wenn ein Mitglied der Beatles am Morgen aufgestanden wäre und sich die Haare noch nicht gemacht hat.“ Merkwürdig. Und das ist gut so. Denn merken sollten sich die Besucher ja vor allem, dass sie ihr Getränk in Zukunft am besten aus der gut recyclebaren Glasflasche trinken. Im Optimalfall von der Brauerei nebenan. Der Umwelt zuliebe.
Die Segel- und Meergruppe
Bei unserer Führung gelangen wir jetzt zu einem Bereich, in dem eine Lampe aus einem alten Segel den Mittelpunkt bildet. Auch hier ist wieder sichtbar die Biographie eines Schülers eingeflossen, der passionierter Segler ist. „Daraus ist dann das Thema entstanden. Die Schüler dieser Gruppe waren erstaunt, wieviel verschiedene Materialien da eigentlich im Meer landen, Mikroplastik, Schrott und so weiter. Das wollten sie gerne aufzeigen. Besonders überrascht hat sie auch, dass man nach wie vor Müll aus Kriegszeiten im Meer findet.“
Ich schwärme davon, dass man einige der Kunstwerke tatsächlich gar nicht als aufgewerteten Müll wiedererkennt. „Ja, einige davon sind wirklich voll stylisch“, sagt Frau Bayreuther, „Die könnte man auch als Designerlampen verkaufen.“ Eine andere, originelle Lampe des Bereichs wiederum setzt auf Multifunktionalität: „Die Käseraspellampe hat eine alte Käseraspel als Lampenschirm, von der der Schüler fand, man könne sie auch noch in der Küche benutzen“, sagt die Telefonstimme. Letzten Endes wären vor allem verschiedenste Lampen aus unterschiedlichsten Materialien ausgestellt worden – Alles Zeug, das im Meer landet, wenn man es nicht sachgemäß entsorgt oder ihm neues Leben einhaucht.
Die Weltall-Gruppe
Die ernste Botschaft des letzten Bereichs wäre klar gewesen, denn dort hätte man nur eine einzige Lampe zu sehen bekommen: Eine Rakete.
In dem nahezu vollständig abgedunkelten Raum wäre sie von dreidimensional gestalteten Planeten, sowie einer Galaxie-Fototapete umgeben gewesen. „Es gibt keinen Planet B“, wäre die abschließende Erinnerung an die Besucher gewesen.
„Dazu hat die Gruppe einen schönen Text verfasst, der mit ausgestellt worden wäre“, sagt Frau Bayreuther. Dass wir immer höher, schneller und weiter hinaus wollten, hätte der Text beschrieben, doch dass gerade nicht die Zeit dafür sei, nach den Sternen zu greifen. Weil man sich gerade lieber mit Lösungen auseinandersetzen sollte. „Das wäre eine schöne Abrundung zum Schluss gewesen“, bedauert Frau Bayreuther, genau wie ich. „Die letzte Nische hätte gezeigt, warum dieses Müllverwertungsthema eigentlich so wichtig ist.“
Als wir auflegen fühle ich mich traurig, nachdenklich, amüsiert und beseelt zugleich. Ich glaube, genau diese Art von ambivalenten Gefühlen soll Kunst erzeugen. „Mit unserem Projekt verhindern wir keine Müllberge“, hat mir Herr Heydenreich noch in seiner E-Mail geschrieben. „Doch vielleicht sind die Lampen der vielbesagte Tropfen auf den heißen Stein, der zwar schnell wieder verdampft, aber womöglich einen kleinen Wasserfleck oder Rest hinterlässt.“ Diesen bescheidenen Wunsch hat ihm seine Kunstklasse definitiv erfüllt!